Digitale Netzanschlussprozesse – der Schlüssel zu Kundenorientierung, Steuerungsfähigkeit und Produktivität

6 min read 24 January 2025 By Ralf Kurtz, Experte Energiewirtschaft

Wie im Beitrag „Verteilnetzbetreiber – Digitalisierung als Schlüssel zur Beschleunigung der Energiewende“ beschrieben, ist die Digitalisierung der wesentliche Schlüsselfaktor für Verteilnetzbetreiber (VNB), um die Energiewende zu beschleunigen. Dies gilt auch für die Netzanschlussprozesse und soll hier im Hinblick auf die bestehenden Herausforderungen und Lösungen – mit Fokus auf den Niederspannungsbereich - vertieft werden.  

VNB stehen bei den Netzanschlussprozessen vor großen Herausforderungen
1. Komplexität und Dynamik der Regulierung 

Die Regulierung des Energiemarktes in Deutschland ist komplex und unterliegt starken Veränderungen, auch bezogen auf den Netzanschluss. Das BMWK und die Branchenverbände haben sich dazu auf eine Roadmap zur Beschleunigung des Netzanschlusses verständigt. 

Agenda zur Beschleunigung des Netzanschlusses

Abbildung 1: Agenda von BMWK und Verbänden zur  
Beschleunigung des Netzanschlusses mit Maßnahmen auf sechs Feldern 

Während die Digitalisierungs- und Standardisierungspflicht für den Anschluss von PV-Anlagen <=25 kWP spätestens ab 2025 umgesetzt sein muss, ist der weitere gesetzliche Fortschritt - wegen des vorzeitigen Endes der Ampel-Koalition - aktuell unklar. 

2. Steigende Produktvielfalt und Menge – insbesondere steuerbare Erzeuger und Verbraucher 

Die mit dem Netzanschluss verbundene Produktvielfalt und Menge hat zugenommen. Es gilt nicht mehr nur neue dauerhafte oder temporäre Netzanschlüsse für ein oder mehrere Medien zu erstellen und für die Versorgung einzubinden. Darüber hinaus müssen die rasant zunehmenden Erzeuger (insb. PV) und Verbraucher – Speicher, Wärmepumpen und Ladesäulen - sowohl bei neuen als auch bei bestehenden Anschlüssen angemeldet und beurteilt werden. Dabei besteht die Notwendigkeit, diese Erzeuger und Verbraucher steuerungsfähig in Betrieb zu nehmen und deren Daten so zu verankern, dass diese Anlagen auch gesteuert werden können. 

Prognostizierter Anstieg von PV und ausgewählten  Verbrauchern bis nach 2030

Abbildung 2: Prognostizierter Anstieg von PV und ausgewählten  
Verbrauchern bis nach 2030 

 

3. Steigende Bedeutung des Kunden 

Der Kunde ist heute deutlich stärker auf den Netzbetreiber angewiesen als in der Vergangenheit, da die Erfüllung seiner Bedürfnisse von der Schnelligkeit und Qualität der Arbeit des Netzbetreibers abhängt. Damit steht der Netzbetreiber stärker im Kundenfokus als in der Vergangenheit und trägt mit der Vermittlung einer positiven Kundenerfahrung stark zum Image des Energieversorgers bei. Die häufig bei Netzbetreibern nicht aktuell vorhandenen Kundendaten bilden dabei ein großes Hindernis. 

4. Technologische Integration 

Die IT-Systemwelt der Netzbetreiber berücksichtigt heute den Endkunden meist nicht und ist zudem häufig fragmentiert, d.h. isoliert auf die Erledigung von getrennten Aufgaben – u.a. Netzplanung, Netzabrechnung, Messgerätewechsel - ausgerichtet. Deutlich höhere Fallzahlen mit zunehmendem Anspruch an die Schnelligkeit können ohne stärkere technologische Integration nicht erledigt werden. 

5. Personalmehrbedarf und Fachkräftemangel 

Mit den zunehmenden Fallzahlen steigt der Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften. Zudem verschieben sich die Anforderungen mehr in Richtung der Bearbeitung von Massenprozessen mit einer anderen technologischen Unterstützung. Ein Bedarf, der in Zeiten steigenden Fachkräftemangels nicht einfach zu befriedigen ist. 

Wie Verteilnetzbetreiber diese Herausforderungen meistern können 

Digitalisierung ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Lösungsbaustein für die Bewältigung dieser großen Herausforderungen. Insgesamt sind im Rahmen einer ganzheitlichen Sicht fünf Lösungsbausteine zu betrachten.  

Ganzheitliche Betrachtung Netzanschlussprozesse

Abbildung 3:  
Fünf Felder der ganzheitlichen Betrachtung der  
Netzanschlussprozesse 

#1 Im Mittelpunkt steht das Thema „Kundenorientierte Organisation“

Während die Interaktion mit den Kunden in der Vergangenheit meistens ein Randthema war, rückt sie nun stärker in den Fokus. Wir diskutieren immer häufiger mit Netzbetreibern, wie sie das in ihrer Organisation stärker berücksichtigen können. Die Ausprägung von Kundenverantwortung in einem Netzvertrieb mit einer klaren Kundenschnittstelle, die Schaffung einer Möglichkeit für Kunden sich zu beschweren und somit der Möglichkeit für den Netzbetreiber daraus zu lernen und die Berücksichtung des Werts von Kundendaten durch Ausprägung eines Netz-CRM-Systems und die Verankerung einer entsprechenden Verantwortung sind Aspekte, die dabei immer wieder zur Sprache kommen. 

#2 Die End-to-end-Verantwortung bietet die Möglichkeit, Silos zu überwinden

Mit dem Thema Kundenverantwortung einhergehend diskutieren wir auch, was diese Verantwortung beinhaltet und wie weit diese reicht. Wichtig ist nach unserer Erfahrung darauf zu achten, dass die interne Verantwortung für die Befriedigung der Kundenbedürfnisse geschlossen über Bereichsgrenzen hinweg abgebildet wird, um unterschiedliche Priorisierungen, eine nicht aufeinander abgestimmte Vorhaltung von Ressourcen und teilweise wenig ganzheitlich ausgerichtete Prozessoptimierungen mit entsprechendem Technologieeinsatz zu vermeiden. Eine übergreifende Geschäfts- und Prozessverantwortung ist hier aus unserer Sicht zwingend notwendig (informieren Sie sich dazu auch in unserem Webinar zur „Nachhaltigen Prozess-Exzellenz“). 

#3 Qualifizierte Mitarbeitende und ein kultureller Wandel sind die Voraussetzung für den Erfolg

Eine verstärkte Kundenorientierung, die verbesserte Wahrnehmung einer End-to-end-Verantwortung und die Entfaltung des Nutzens der Digitalisierung ist nach unserer festen Überzeugung nur dann erfolgversprechend, wenn dem Faktor Mensch eine entscheidende Rolle eingeräumt wird. Das bedeutet einerseits, die Qualifikation der Mitarbeitenden auf breiter Front zu stärken, andererseits aber auch, den Rahmen mit einem kulturellen Wandel zu setzen, der den Wert des Kunden fokussiert und auf eine hierarchie- und bereichsunabhängige, flexible, stärker digital unterstützte Zusammenarbeit setzt. Dieser Wandel ist auch schon deshalb unerlässlich, weil sie einen Hygienefaktor im Wettbewerb um die knappen Fachkräfte darstellt. 

#4 Die Digitalisierung end-to-end führt den Netzanschlussprozess auf eine andere Ebene

Eine wirklich spürbare stärkere Kundenorientierung des Netzanschlussprozesses und die Sicherstellung der Steuerungsfähigkeit bei deutlichen Produktivitätsgewinnen wird nur durch eine umfassende Digitalisierung des gesamten Prozesses – von Anfang bis Ende - sichergestellt. Dabei sind, wie unsere Projekte zeigen, drei Teilaspekte besonders wichtig: 

Die Ausprägung eines Netzanschlussportals, das 

  • die Schnittstelle zum Kunden bzw. den Installateuren bildet und die Kommunikation sicherstellt, 
  • ermöglicht alle Daten auf einfache, unterstützte Art basierend auf Vorschlägen einzugeben,
  • Daten mit den Back-end-Systemen abgleicht und Daten an diese liefert, 
  • den Mitarbeitenden die Möglichkeit bietet, Vorfälle zu bearbeiten, 
  • den Prozess umfassend abbildet und alle involvierten Rollen einbindet.

Die Integration aller Systeme mit dem Netzanschlussportal, die 

  • direkt auf die Erfüllung der Kundenbedürfinisse gerichtet sind wie z.B. CRM- und Abrechnungssysteme, Systeme zum Gerätewechsel und WfM-Systeme, 
  • darüber hinaus erforderlich sind, z.B. Systeme zur Netzdokumentation, Netzverträglichkeitsprüfung und Netzplanung, 
  • nachgelagerte Prozesse anstoßen, wie Systeme zur Marktkommunikation und Netzsteuerung. 

Ein System zur Unterstützung des End-to-end Ressourcenmanagement, das 

  • die mittelfristige Entwicklung benötigter prozessbezogener Fachkräfte plant, 
  • den kurzfristigen Ressourceneinsatz über Bereiche hinweg steuert, 
  • die Koordination mit der kurz- und mittelfristigen bereichsbezogenen Sicht unterstützt. 
#5 Eine weitgehende Automatisierung inkl. KI vertieft den Nutzen der Digitalisierung 

Im Zuge der Digitalisierung muss jede Möglichkeit zur Automatisierung genutzt werden. Dabei spielt die KI aus unserer Sicht – wie aktuelle Projekte zeigen - zukünftig eine wichtige Rolle, um Aufgabengebiete maschinell zu unterstützen und damit zu teil-automatisieren, die bisher schwierig unterstützbar waren. Dabei stehen Assitenzsysteme aktuell noch im Fokus, auf Sicht wird aber die Automatisierung ganzer Aufgabengebiete durch KI möglich. Folgende Beispiele zeigen, wo eine Automatisierung möglich ist. 

Die Automatisierung der Qualitätssicherung der Daten in der Kundenstrecke ist ein wichtiges Thema, um den Aufwand in der Bearbeitung deutlich zu reduzieren. Hier ist es z.B. wichtig, Prüfroutinen bzgl. vorhandener und neuer Netz-Verknüpfungspunkte zu definieren, um digitale Kundenanfragen automatisch richtig zuordnen zu können. Erforderlich ist dazu die Integration mit den Back-end-Systemen mit hoher Datenqualität, um vorhandene Daten zur Prüfung heranziehen zu können. Daten können automatisiert getestet und Mitarbeiter auf ungewöhnliche Informationen hingewiesen werden. 

Der Einsatz von KI kann in der Kundenstrecke z.B. in der Klärfallbearbeitung helfen, Vorschläge für Problemlösungen zu erarbeiten, so dass sich die Mitarbeitenden auf die qualifizierte Kundenkommunikation konzentrieren können. Darüber hinaus kann ein durch KI unterstützter Chat-bot helfen, den Kunden qualifiziert zu unterstützen. Dies haben wir in einem Projekt für einen Netzbetreiber bewiesen. Hier haben wir einen solchen, auf den Netzanschluss spezialisierten Chat-bot, trainiert und implementiert.  

Die Automatisierung der Netzverträglichkeitsprüfung ist ein weiteres, wichtiges Thema, um die Qualität der Ergebnisse zu steigern und den Aufwand zu reduzieren. Voraussetzung ist hier, dass die vorhandene und maximale Netzlast je Verknüpfungspunkt und Netzabschnitt digital verfügbar ist. So lässt sich dann die Anfrage zum Netzanschluss bzw. die Anmeldung von Anlagen automatisch abprüfen. KI kann hier helfen, Anpassungsvorschläge bei einer negativen Prüfung vorzubereiten oder bereits im Netzplan auf kritische Stellen mit genauen Begründungen und Berechnungen hinweisen. 

Lassen Sie uns kurz zusammenfassen: 

Der Netzanschlussprozess muss sich in der Energiewende großen Herausforderungen stellen, ist aber auch selbst mitentscheidend für deren Gelingen. Ein ganzheitlicher Ansatz in der Optimierung ist wichtig, um diese Herausforerungen zu bestehen. Die Digitalisierung spielt eine herausragende Rolle, wenn es darum geht, die Kundenorientierung zu steigern, die Steuerungsfähigkeit sicher zu stellen und die Produktivität zu erhöhen. 

Wenn Sie Anregungen, Fragen und Hinweise haben, zögern Sie nicht, uns jederzeit zu kontaktieren.  Gemeinsam mit Ihnen finden wir die beste Strategie für Ihre digitale Transformation

 

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